Der Maler

Kalt ist es hier. Es ist erst November. Wie wird es sein, wenn draußen Schnee liegt?

Nicht auszudenken. Ein paar Holzscheite würden genügen und meine Finger wären nicht so klamm.

Hungrig bin ich. Hab noch ein bisschen Zwieback und einen Apfel. Muss für morgen reichen.

Keiner will sie haben. Sind ihnen zu verrückt. Haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Trotzdem male ich weiter. Es ist das Einzige, was ich kann.

Morgen kommt er die Miete einfordern. Hab kein Geld. Was soll ich ihm sagen? Eins meiner Bilder verschenken? Der lacht doch nur. „Malen Sie mich und meine Gattin wie in echt!“, hat er neulich gesagt. Soll er doch zum Fotografen. Meine Bilder sind nicht echt. Menschen schauen aus wie Häuser und Häuser wie Menschen. Alles verquer in meinem Kopf.

Aber ich kann auch brav malen.

Hungrig nach Liebe bin ich. Hab so lange kein Mädchen gehabt. Kann ihnen nichts bieten. Letzten Winter ist eine geflohen. Wir wollten eben ins Bett und das Federbett war gefroren. Lag auch an der kaputten Fensterscheibe.

Ich werde mir ein Mädchen malen. Eine Brave. Mit adretter Frisur, blass und schmallippig. Kleine Brüste soll sie haben und von schlankem Wuchs sein. Leben soll sie. Wenn sie mich erblickt, wird sie lächeln. Ganz zart.

Wenn sie mich nervt, werde ich sie übermalen. Mit einer Anderen. Vielleicht einer lustigen oder dreisten. Mal sehen.

Ich nehme keine Staffelei diesmal. Ich weiß, dass es auch anders geht. Muss mich nur gut konzentrieren, bis es in meinen Ohren summt und ich leicht vom Boden abhebe.

Dann werde ich den Pinsel ansetzen und einfach ihre Konturen nachmalen, die ich spüre.

Sehnsucht

Nacht für Nacht reißt du mich aus dem Schlaf, der mir ein kurzes Vergessen schenkt.

Es ist, als würdest du mir zurufen. Ich höre deine Stimme inmitten des säuselnden Windes, die mich lockt, zu dir zu kommen.

Ich stürze ans Fenster und sehe dich zwischen den Ästen des Lindenbaumes, die sich hin und her wiegen. Ich öffne das Fenster und du bist verschwunden. Dein weißes Leichenkleid ist nur noch Nebel, der über der dunklen Wiese wogt.

Oh, nimm mich mit, lass mich nicht allein hier. Mein Leben ist eine tiefe dunkle Grube ohne dich, aus der ich mich nicht befreien kann.

Ich muss dich noch einmal sehen. Du warst so schön auf deinem Totenbett. Fast schien es mir, als wärst du noch lebendig. Dein Mund leicht geöffnet, wartend auf einen Kuss von mir. Deine Wangen rosig, meine Umarmung ersehnend. Und die dunklen Locken feucht wie nach unserem Liebeslager.

Nein, ich kann es nicht mehr ertragen, noch einmal will ich dich umarmen und an deiner Seite liegen. Mit bloßen Händen werde ich in der Erde graben und den Sarg aufreißen.

Dein Gesicht mit meinen Tränen bedecken und endlich Ruhe finden.

Der Gebieter

Vollmond war wieder diese Tage.

Dann warte ich, dass er in mein Fenster scheint. Nur kurz, denn der Winkel zwischen Dächern ist klein. Ich bade mich in seinem Licht und wähne mich glücklich für einen Augenblick.

Doch das bin ich nicht, schon lange nicht mehr.

Denn bald zieht er mich eigentümlich in seinen Bann, befiehlt mir etwas, was ich nicht will. Schaut mich an mit seinem runden vollen Zyklopenauge; kalt, unbarmherzig. „Du hast auf mich gewartet“, sagt er streng, „also wirst du tun, was ich dir sage.“

Ich stehe auf und kleide mich an. Suche im Keller nach Werkzeug. Es ist jedes Mal ein anderes. Mal suche ich mit Feuereifer nach einem Kreuzschraubenschlüssel, dann wieder nach einer Kneifzange. Hammer oder Sägen sind mir zuwider. Aber ich tue das, was mir befohlen wird. Heute darf ich mir eine Schere aussuchen.

Mein alter Armeerucksack hängt am Nagel. Ich nehme ihn und verstaue mein Utensil zusammen mit einer Flasche Wasser und einer Tafel Schokolade. Ich weiß nie, wie lange ich unterwegs bin.

Ich verlasse das Haus und gehe schnellen Schrittes den Gehweg entlang Richtung Bahnhof. Es hatte nachmittags geregnet. Das Licht der Laternen spiegelt sich in den Wasserpfützen. 15 Minuten dauert der Weg. Ich laufe schneller, denn die S-Bahn fährt bald. Den Fahrplan habe ich im Kopf.

An der Haltestelle ist um 2.00 Uhr nachts meistens niemand. Als die Bahn einfährt, ziehe ich mir die Kapuze über den Kopf. Meine dunklen Haare, die ich mir regelmäßig färbe, hängen über den Augen. Niemand könnte mein Alter schätzen. Ich bin schlank und trage Teeniekleidung. Niemand ahnt, dass ich 60 bin und ein Mörder.

Ich will es nicht, es wird mir befohlen. Mein Gebieter ist er da droben, der kalte Mond.

Der Wagen ist fast leer. Gut so. Zwei Jungs, so um die 20, sitzen getrennt voneinander. Schade, dass sie so jung sind, wirklich schade.

Der eine zockt am Handy und grinst blöde. Der Andere schläft. Er schaut nett aus. Hoffentlich ist es der Zocker, bete ich innerlich.

An den nächsten zwei Haltestellen steigen sie nicht aus. Ein neuer Fahrgast kommt auch nicht dazu.

Jetzt rappelt sich der mit dem Handy auf. Er schlurft zur Tür, ein Schuhpendel ist offen und er kratzt sich am Hintern. Der hat es verdient, denke ich, und folge ihm.

Als wir aussteigen, ist der Bahngleis leer. Wir sind hier am Land. Die Haltestelle ist ideal. Nach der Unterführung nur Wald. Wenn der wüsste!

Er blickt kaum auf, macht wieder an seinem Handy rum. Die Lederjacke ist abgewetzt, die Jeans zerrissen. Aber das ist ja heutzutage modern.

Plötzlich bleibt er stehen und dreht sich um. Als ahne er es. Erschrocken fährt er sich durch die blonden Haare und kreuzt die Arme vor die Brust. Er hat die Schere gesehen. Direkt vor mir, wirkt er viel jünger. Er ist höchstens 17, denke ich noch bedauernd. Blindwütig stoße ich ihn in den Bauch, zwischen die Finger und in den Hals. Helles Entsetzen in seinen Kinderaugen. Er schreit nicht mal, stöhnt nur, sackt zusammen und fällt hart. Das Blut so warm in meinen Händen. Über mir klagen Krähen und bringen die Botschaft weiter zu meinem Gebieter. Ich drehe mein Schlachtopfer um, das Blut bedeckt sein Gesicht wie Schamröte. Unerwartet ertönt ein Signal. Ein Schnellzug kommt. Man könnte mich sehen von den Fenstern aus. Ich ducke mich und bedecke mein Nachtwerk, das von ihm da droben beleuchtet wird, flüchtig mit Zweigen und Grasbüscheln.

Dann atme ich tief die klare Morgenluft ein. Es wird Zeit für den Heimweg. Ich bin ein guter Läufer.

Eine neue Aufgabe

Natürlich war ich aufgeregt. Er hatte mir versprochen, etwas Außergewöhnliches auszuprobieren.

Es war noch früh am Morgen, als ich das Haus verließ und in den Wagen stieg. Unser Treffpunkt war der Trimm-dich-Pfad. Er stand schon da und wartete, als ich ankam.

„Du hättest dich wärmer anziehen sollen.“ Zweifelnd musterte er meine Jogginghose und die Windjacke.

„Ich dachte, wir machen Fitnesstraining.“

Er öffnete den Kofferraum von seinem Wagen, rollte eine Decke zusammen und stopfte sie in den Rucksack. Ich sah auch eine Thermoskanne und eine Brotbox darin. Er war wie immer gut vorbereitet.

„Es ist doch Sommer, zu was brauchen wir eine Decke?“

„Du redest zu viel, vertrau mir.“ Er sah mich ernst an.

Mit einmal wusste ich, dass ich mich auf ihn verlassen konnte.

„Als erstes müssen wir dich gänzlich auspowern.“ Sagte es und rannte los. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Aber das war noch nicht alles. Dazwischen übten wir an den Geräten des Parcours. Schon bald jammerte ich über Seitenstechen.

„Atme so, wie du es gelernt hast“, befahl er. Und ich achtete auf die Bauchatmung und es wurde leichter für mich.

Eine Übung erließ er mir, die mit den Klimmzügen an der Stange. Fasziniert beobachtete ich, wie er mühelos 20 Klimmzüge machte. Dann ging es weiter mit Dehnübungen, Balancieren, Entlanghangeln an Stangen und Ringen. Am Ende des Parcours nahm er einen Weg, der tiefer in den Wald führte.

Mit einmal hielt er inne und befahl mir, die Umgebung bis ins Kleinste wahrzunehmen.

„Darf ich mich setzen?, bat ich.

Er nickte und wir setzten uns auf einen gefällten Baumstamm. Ich strich über die glatte, grau schimmernde Rinde einer Buche. Er öffnete den Rucksack und reichte mir Trockenfleisch und heißen gewürzten Tee. Wir aßen und tranken schweigend.

„Was nimmst du wahr?“, fragte er dann.

„Vogelstimmen, auch die eines Buchfinks. Er zwitschert: „Bin ich nicht ein schöner Bräutigam?“

„Ah, ausnahmsweise in der Schule aufgepasst.“ Es schien ihn zu amüsieren.

„Ich fühle die Buchenrinde unter meinen Fingern. Es klebt auch ein wenig Harz daran. Unter meinen Schuhen das weiche Moos. Es riecht frisch nach Tannennadeln.“

„Leg dich auf die Decke“, forderte er mich auf.

Er half mir dabei und deckte mich mit der anderen Hälfte zu.

„Schließ die Augen.“

Ich tat es und nahm mit einmal die Umgebung durchdringend wahr. Die Vogelstimmen wurden lauter; ich hörte Zweige knacken und sogar Tautropfen meinte ich fallen zu hören. Ich roch seinen Schweiß, die feuchte Erde und das modrige Moos.

„Du wirst heute fliegen“, prophezeite er.

„Wie das ohne Flügel?“

„Dazu brauchst du keine Flügel.“ Lass dich fallen.

„Ich dachte, zum Fliegen muss man abheben.“

„Psst“, tadelte er. Lachte aber leise dabei.

Ich sammelte mich und achtete auf die Bauchatmung. Sanft strich er mir über die Stirn und berührte mein Sonnengeflecht am Brustbein. Ich nannte die Stelle „mein Seelchen.“ Sie begann warm zu werden und dann strahlte die Hitze nach allen Seiten aus. In meinen Ohren begann es zu summen.

Plötzlich war es mir, als würde ich aus meinem Körper entweichen. Ließ ihn starr zurück. Ganz leicht war mir zumute. Ein Sog erfasste mich und trug mich hoch.

Unwillkürlich streckte ich die Arme aus und endlich getraute ich mich auch, die Augen zu öffnen. Ich schwebte über den Bäumen und konnte sogar die Geschwindigkeit beeinflussen. Ich schrie vor Begeisterung, doch kein Laut kam aus meinem Mund. Unter mir sah ich jetzt Häuser und winzige Menschen. Ich winkte ihnen zu, aber sie schienen mich nicht wahrzunehmen. Ich flog, bahnte Kurven in der Luft, überquerte Hügel und Seen. Ein unsagbares Glücksgefühl durchströmte mich fortwährend.

Auf einmal wurde ich unsanft zurück gerissen. Wieder erfasste mich ein starker Sog und ich landete hart in meinem Körper. Meine Knochen schmerzten und mir war übel.

Er hob meinen Kopf und flößte mir heißen Tee ein.

„Kann ich das auch allein?“, fragte ich erschöpft.

„Du wirst es lernen“, versicherte er mir. „Aber du musst aufpassen, dass niemand währenddessen deinen Körper findet, ihn verrutscht oder schlimmstenfalls wegbringt. Du würdest nicht mehr zurückfinden.

„Danke fürs Aufpassen“, flüsterte ich und er lächelte , wie so oft, wenn ich etwas sagte.

Der schlaflose Priester

Diesmal würde er sie finden. Es ging gar nicht anders. Er hatte den Rottweiler dabei, den Spürhund des Klosters. Die und eine Nonne? Dass er nicht lachte. Allein die Tanzschuhe, die sie trug, zeugten von einer gewissen Eitelkeit. Sie unterschieden sich von dem vernünftigen Schuhwerk der anderen Nonnen. Auch ließ sie immer – wie unabsichtlich – ihre roten zerzausten Haare unter dem Schleier hervor spitzen. Den Brüdern gingen schon die Augen über bei der Messe und die beiden jüngsten grimassierten unflätig. Nur die Messe durften Priester und Nonnen gemeinsam besuchen. Wenn es nach ihm ginge, müsste auch das verboten werden.

Der Köter hatte anscheinend eine Fährte aufgenommen und zog voller Kraft an der Leine. Er kam kaum hinterher. Seine Soutane flatterte durch den starken Gegenwind und behinderte ihn beim Laufen. Er strich sich über den schweißnassen Nacken und gebot dem Hund Einhalt. Da war es zu hören. Ein wüstes Gekreische und wildes Wiehern. Er hob den Kopf und sah sie auf ihren Besen, an die 20 liebestolle Hexen, die sich im Kreis um das Walpurgisfeuer drehten. Hoch in die Lüfte und fast im Sturzflug bis runter zum Feuer. Der Hund winselte jämmerlich. Er band ihn fest, um sich ungesehen näher heran pirschen zu können. Vor dem Grashügel legte er sich bäuchlings hin und robbte langsam nach oben. Seine Hände stachen sich an Disteln und er schimpfte leise vor sich hin.

Oben angekommen, versteckte er sich hinter einem Busch und besah sich die Hexenkunst. Ein haushohes Feuer loderte zum Himmel. Unten bruzzelte eine Sau am Spieß. Oder war`s am Ende gar ein Kindskörper? Sein Magen begann zu knurren und betroffen schleuderte er seine Hand gegen eine Distel. Angewidert verfolgte er die Zauberei und konnte doch den Blick nicht wenden. Mit wehenden Haaren und nackten Beinen saßen die Teufelsweiber auf ihren Besen. Mit der einen Hand den Stiel festhaltend, johlten sie laut auf und hoben die andere Hand gen Himmel. Uralte Geschöpfe mit Hakennasen und schrundigen Glatzen. Aber auch junge mit langen flatternden Haaren. Darunter musste sie sein. Es dauerte bis er sie fand. Sie flogen erstaunlich schnell.

Die jüngste war sie mit rotem Haarschopf und weißen Schenkeln. Ihr Gesicht vom Mond beschienen und entrückt, erschien ihm überirdisch schön. Er spürte ein Ziehen in den Lenden und hasste sie und sich dafür. Schon morgen würde er eine Depesche schicken. Die Inquisition würde den sündigen Körper vernichten und ihn wieder ruhig schlafen lassen.