Der schlaflose Priester

Diesmal würde er sie finden. Es ging gar nicht anders. Er hatte den Rottweiler dabei, den Spürhund des Klosters. Die und eine Nonne? Dass er nicht lachte. Allein die Tanzschuhe, die sie trug, zeugten von einer gewissen Eitelkeit. Sie unterschieden sich von dem vernünftigen Schuhwerk der anderen Nonnen. Auch ließ sie immer – wie unabsichtlich – ihre roten zerzausten Haare unter dem Schleier hervor spitzen. Den Brüdern gingen schon die Augen über bei der Messe und die beiden jüngsten grimassierten unflätig. Nur die Messe durften Priester und Nonnen gemeinsam besuchen. Wenn es nach ihm ginge, müsste auch das verboten werden.

Der Köter hatte anscheinend eine Fährte aufgenommen und zog voller Kraft an der Leine. Er kam kaum hinterher. Seine Soutane flatterte durch den starken Gegenwind und behinderte ihn beim Laufen. Er strich sich über den schweißnassen Nacken und gebot dem Hund Einhalt. Da war es zu hören. Ein wüstes Gekreische und wildes Wiehern. Er hob den Kopf und sah sie auf ihren Besen, an die 20 liebestolle Hexen, die sich im Kreis um das Walpurgisfeuer drehten. Hoch in die Lüfte und fast im Sturzflug bis runter zum Feuer. Der Hund winselte jämmerlich. Er band ihn fest, um sich ungesehen näher heran pirschen zu können. Vor dem Grashügel legte er sich bäuchlings hin und robbte langsam nach oben. Seine Hände stachen sich an Disteln und er schimpfte leise vor sich hin.

Oben angekommen, versteckte er sich hinter einem Busch und besah sich die Hexenkunst. Ein haushohes Feuer loderte zum Himmel. Unten bruzzelte eine Sau am Spieß. Oder war`s am Ende gar ein Kindskörper? Sein Magen begann zu knurren und betroffen schleuderte er seine Hand gegen eine Distel. Angewidert verfolgte er die Zauberei und konnte doch den Blick nicht wenden. Mit wehenden Haaren und nackten Beinen saßen die Teufelsweiber auf ihren Besen. Mit der einen Hand den Stiel festhaltend, johlten sie laut auf und hoben die andere Hand gen Himmel. Uralte Geschöpfe mit Hakennasen und schrundigen Glatzen. Aber auch junge mit langen flatternden Haaren. Darunter musste sie sein. Es dauerte bis er sie fand. Sie flogen erstaunlich schnell.

Die jüngste war sie mit rotem Haarschopf und weißen Schenkeln. Ihr Gesicht vom Mond beschienen und entrückt, erschien ihm überirdisch schön. Er spürte ein Ziehen in den Lenden und hasste sie und sich dafür. Schon morgen würde er eine Depesche schicken. Die Inquisition würde den sündigen Körper vernichten und ihn wieder ruhig schlafen lassen.

Der Flitzteufel

Meine Kindheit war hart. Wir lebten auf einem Einsiedlerhof. Meine Eltern arbeiteten beide bis spät in die Nacht, um den Hof zu bewirtschaften. Ich musste schon als kleiner Bub mitarbeiten, sonst hätten sie es nicht geschafft. Gelobt wurde ich, wenn ich fleißig mitgeholfen hatte. Freunde hatte ich keine; unser Gehöft lag abseits am Rande des Waldes, kilometerweit vom nächsten Dorf entfernt.

Dann wurde meine Schwester geboren, Sophie. Ich war damals 10 Jahre alt. Meine Eltern waren sichtlich überfordert mit der Pflege des Säuglings. Mein Vater nahm die Kleine nie in den Arm und meine Mutter überreichte sie mir – anfangs manchmal und dann immer mehr – nachdem sie meine Fürsorglichkeit bemerkt hatte. Sophie gluckste fröhlich vor sich hin, sobald sie – den groben ungeschickten Händen der Mutter entronnen – bei mir war. Ich liebte sie über alles, sie war meine kleine Prinzessin. Sie wurde von mir verwöhnt und bewacht. Und der Vorteil dabei war: Ich musste nicht arbeiten, wenn ich auf sie aufpasste.

Meine zweite Leidenschaft war das Laufen. Damals schon der Beste in der Schule, wollte ich immer schneller und schneller werden. Man nannte mich den „Flitzteufel“. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, denn meine Trainingsmethoden waren teuflisch. So setzte ich meine damals zweijährige Schwester auf die unseren Hof umgebende Mauer, die 1 1/2 Meter hoch war. Der Boden war gepflastert. Ich wusste, dass ein Sturz furchtbare Folgen haben konnte. Und trotzdem redete ich auf sie ein, ich beschwor sie, still sitzen zu bleiben. Dann rannte ich los. Gut 800 Meter musste ich zurücklegen, um den Hof zu umrunden. Nicht der Ehrgeiz hetzte mich, sondern die Angst, sie könnte fallen. Der Brustkorb barst mir fast, so schnell lief ich. Wenn ich dann bei ihr ankam und sie umarmte und küsste vor Erleichterung, sah sie mich mit ihren großen grauen Augen ruhig an.

Die gleichen Augen blickten auf mich, wenn ich am Berg den Kinderwagen losließ und so lange stehenblieb, bis der rollende Wagen sich drohte zu überschlagen, um dann wie ein Wahnsinniger hinterher zu stürzen und ihn im letzten Augenblick zu fassen.

Dieser Geschwindigkeitswahn setzte sich weiter fort. Noch mit 16 Jahren holte ich einen Füllfederhalter von den Schienen, als der Zug bereits einfuhr. Als ich ihn Sophie reichte, schaute sie mich wieder so eigenartig an.

Sophie vertrug sich nicht mit unseren Eltern und heiratete mit 18 Jahren, um dem Hof zu entfliehen. Sie ging ins Ausland. Damit war sie für mich verloren. Ich übernahm den Hof meiner Eltern nach deren Tod und bin mein Lebtag allein geblieben. Mit der Trennung von Sophie ließ meine Lust an der Geschwindigkeit nach. Irgendwie fehlte mir der Ansporn.

Die Jahre vergingen und ich bin alt geworden.

Gestern habe ich vom Tod meiner Schwester erfahren. Sie sollte überführt werden und ich fuhr zum Flughafen, um den Sarg in Empfang zu nehmen.

Warum ich über die Landebahn laufen wollte? Obwohl das Flugzeug eben zur Landung ansetzte?

Ich sah sie dort stehen. Mitten auf der Landebahn. Sah mich mit ihren großen Augen ruhig an. Da hat mich meine alte Leidenschaft gepackt und ich rannte los – wie früher der Flitzteufel. Sie hat mich noch einmal flitzen sehen wollen.

Steinstaub – Das Buch

Edith, eine 35-jährige Bibliothekarin, macht Bekanntschaft mit einem älteren Bildhauer mit Namen Wieland. Edith steht Wieland Modell, obwohl er sagt, sie dazu anfassen zu müssen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Sie fühlt sich sexuell zu ihm hingezogen. Er weist sie jedoch ab. Es beginnt ein Wechselspiel zwischen Anziehung und Abstoßung.

Sie spürt, dass er etwas verbirgt, was mit seiner Vergangenheit zu tun hat. Da sind Statuen im Garten mit unkenntlich gemachten Gesichtern und ein leeres Zimmer, das von einer Frau bewohnt worden war. Auch Bemerkungen von ihm beunruhigen sie. Sie kann jedoch nicht zu ihm durchdringen.

Wieland fertigt insgesamt 12 Skulpturen von ihr, die er ihr aber erst ganz zum Schluss zeigt.

Edith lebt zurückgezogen. Liest viel und unternimmt wenig, um ihr Leben zu ändern. Gefühlsmensch wie sie einer ist, hört sie oft nicht auf Warnsignale, die ihr der Verstand vermitteln will.

Dies zeigt sich auch, als sie einen Optiker – Michael – kennenlernt und ihn, obwohl er eher zurückhaltend reagiert, in der Silvesternacht verführt. Wieland erfährt davon. Dann überschlagen sich die Ereignisse…

Möchten Sie mehr erfahren…

Der Titel

Steinstaub von Ulrike Paula
Verlag BoD
ISBN 978-3-8391-3077-3

ist im gesamten deutschsprachigen Buchhandel und in über 1000 Online-Shops erhältlich.

Lesung am 19.06.2012

Geheimnis unter Steinstaub

Schwabach liest: Ulrike Tappe stellte ihr Erstlingswerk vor
Die Literaturfreunde von „Schwabach-liest“ konnten dieses Mal Ulrike Tappe kennenlernen, die ihr Erstlingswerk „Steinstaub“ präsentierte.

SCHWABACH – Vorgestellt wurde sie von den Organisatoren Günter Baum und Barbara Lorenz. Ulrike Tappe ist in Bamberg geboren, lebt aber schon seit längerem mit ihrer Familie in Schwabach. Hauptberuflich ist Frau Tappe Justizbeamtin. Das Schreiben aber war schon immer eine Leidenschaft, der sie schon als Jugendliche frönte. Schon damals verfasste sie Kurzgeschichten. 

Die Novelle „Steinstaub“ ist ihre erste längere Erzählung und wurde unter dem Pseudonym Ulrike Paula veröffentlicht. Der Titel „Steinstaub“ ist nicht zufällig ausgewählt worden, denn Steinstaub zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Novelle. Es ist der Staub vom Stein, der sich wie eine Schutzhülle um die beiden Protagonisten legt und sich erst am Ende der Novelle lüftet und das Geheimnis offenbart. 

Die beiden Protagonisten Edith und Wieland Sandner, sind ein ungleiches Paar, sowohl vom Alter her als auch vom Wesen. Und doch ist da eine magische Anziehungskraft, die beide vereint. Die Begegnung der beiden findet auf ungewöhnliche Weise statt. Edith, eine 35-jährigen Bibliothekarin, joggt jeden Sonntag in einem noblen Villenviertel auf der Lindenblütenallee. Ein verwilderter Garten und das große Eisengitter einer Villa ziehen sie magisch an. Hier macht Edith regelmäßig eine Pause, und blickt in den Garten.

Eines Tages entdeckt sie plötzlich hinter einem Fenster des Hauses einen Mann. So beginnt eine ungewöhnliche Begegnung. Edith wird von diesem Mann, der sich als Wieland Sandner vorstellt, eingeladen. Wieland Sandner macht ihr etwas Angst, aber der Gedanke um das Geheimnis umwitterte Haus und dessen Bewohner lässt sie nicht mehr los. So nimmt Edith seine Einladung, eine Führung durch Haus und Garten zu machen, an.

Im Garten stehen viele Statuen aus Stein, die sehr detailliert gearbeitet sind. Außer den Gesichtern, die sind verschwommen. Da sich die Statuen ähneln, alles Frauenkörper, nimmt Edith an, dass sie alle vom selben Künstler gemacht wurden.

Langsam kommen sie sich näher und Edith darf auch das Atelier besichtigen. Nun erst erkennt sie, dass Wieland der Bildhauer ist. Daraufhin soll Edith ihm Modell stehen. Wie Edith damit hadert, ob sie diesem alten grauhaarigen Mann Modell stehen soll, ganz nackt, sich dann dazu entschließt, und sich dann vor ihm auszieht, ist sehr gefühlvoll beschrieben. und mit einem feinen erotischen Hauch gewürzt. Man spürt förmlich die Anspannung von Edith, denn der Bildhauer sieht mit den Händen besser als mit den Augen.

Ob sich nun eine Liebesbeziehung anbahnt, die einseitig bleibt oder nicht, konnte man aus den vorgelesenen Passagen nicht erkennen. Die Vorlesung aus der Novelle endete damit wie Edith alleine durch das Haus streift, weil sie noch nicht alle Räume gesehen hat, und ein Tagebuch entdeckt. Da sie eine sprichwörtliche Leseratte ist, vor der kein Buch Gnade findet, kämpft sie gewaltig mit ihrer Neugierde, darin zu lesen. Was in dem Tagebuch steht erfahren wir nicht, denn genau an dieser sehr spannenden Stelle kam der Schnitt.

Die Charaktere der Figuren sind mit ganz alltäglichen Eigenschaften ausgestattet und sehr präzise beschrieben, so dass sich der Leser darin wiederfindet.
Mit viel Applaus für Ulrike Tappe und einer Signierstunde endete dieser literarische Nachmittag.

Malwine Markel

Mit freundlicher Genehmigung aus dem Schwabacher Tagblatt vom 23.06.2012